DAP-Tagung 1995 in Netstal (Schweiz)
Deutschen Arbeitskreises für Papiergeschichte in Netstal (12.-15. Oktober 1995)
Wie bei der vorjährigen Tagung in Düren vereinbart folgte der Deutsche Arbeitskreis für Papiergeschichte in diesem Jahr einer Einladung seiner Schweizer Freunde. Angeschlossen hatte sich der Fachausschuß für Papiergeschichte und Wasserzeichenkunde im Verein Zellcheming. Den Auftakt bildete am 12. Oktober ein Besuch in der Basler Papiermühle, dem Schweizerischen Papiermuseum & Museum für Schrift und Druck. Unter der sachkundigen Leitung von Dr. Peter F. Tschudin erfolgte ein zweistündiger Rundgang durch die einzelnen Gebäude des Museums. Die Stegreifmühle beherbergt das Café Papiermühle sowie den Verkaufsladen für Fachliteratur, Papiere, Drucke sowie Kalligraphiezubehör. In der 1453 durch Antonius Gallician zur Papiermühle umgebauten Gallician-Mühle befinden sich die Schauwerkstätten für Papiermacherei, Schriftgießerei, für Hoch-, Tief- und Flachdruck sowie für die Buchbinderei. Als Museum in privater Trägerschaft mit nur geringer finanzieller Unterstützung von Seiten der öffentlichen Hände ist die Basler Papiermühle auf stetes Engagement des - zum erheblichen Teil ehrenamtlich tätigen - Museumspersonals und auf museale Innovationsfähigkeit angewiesen. Gegenwärtig wird eine Versuchspapiermaschine für die Präsentation vorbereitet, damit neben der bereits eindrucksvoll gezeigten Handpapiermacherei das bei der mechanischen Papierfabrikation angewandte Verfahren praktisch demonstriert werden kann. Auch für die Papiergeschichtsforschung gehen von der Basler Papiermühle immer wieder wichtige Impulse aus. Bei diesem Besuch konnte Dr. Tschudin einen Durchlichtscanner vorführen, der in der Lage ist, die Wasserzeichen alter handgeschöpfter Papiere als Pixelgrafik mit 256 Grauwertstufen zu erfassen. Die so erfaßten Abbilder können durch Filter und andere digitale Bildbearbeitungsverfahren manipuliert werden, wodurch die Darstellung der Wasserzeichen zum Teil erheblich verbessert wird.
Am Abend folgte die Weiterreise nach Netstal im Kanton Glarus. Dorthin hatte Georg T. Mandl, Inhaber der Papierfabrik Netstal und Vizepräsident der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker, eingeladen und dem Deutschen Arbeitskreis für Papiergeschichte in beeindruckender Weise seine Gastfreundschaft zuteil werden lassen. Am 13. Oktober 1995, man tagte im Saal des Hotels Schwert, befaßte sich der Arbeitskreis mit dem Rahmenthema "Papiergeschichte des 20. Jahrhunderts", wozu sich ca. 40 Personen aus der Schweiz, aus Liechtenstein, Frankreich sowie aus den verschiedenen deutschen Regionen eingefunden hatten. Den Auftakt bildete ein Vortrag von Dr. Peter Tschudin zum Thema "Papiergeschichte der Moderne: lokal und global". Er demonstrierte, daß die geschichtliche Entwicklung der letzten 250 Jahre nicht ausschließlich aus regionaler Sicht erschlossen werden kann und sich die Analyse auch den Problemen des global stattfindenden Kapital- und Technologietransfers zu widmen hat, was am Beispiel der englischen Kolonien in Nordamerika bzw. der späteren USA und deren Beziehungen zu Europa oder an den Beziehungen zwischen Spanien und Mexiko verdeutlicht wurde. Nur eine internationale bzw. globale Sicht eröffnet auch das Verständnis für den Papiermaschinenbau und seine Absatzmärkte im 19. und 20. Jahrhundert. Die Papiergeschichte des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist nur noch im Rahmen multinational tätiger Konzerne verstehbar. Die auf den Vortrag folgende, sehr angeregte Diskussion befaßte sich vor allem mit dem Quellenproblem, da in ganz erheblichem Umfang in den Fabriken bzw. Konzernleitungen erwachsenes Aktenmaterial nicht aufbewahrt wurde oder wird. Besondere Schwierigkeiten bereiten dabei auch elektronische Quellen, für die oft schon nach kurzer Zeit keine Hard- und Software mehr zur Verfügung steht. Man war sich einig, daß in dieser Situation der Fachpublizistik eine herausragende Bedeutung zukommt, wobei auch hier konstatiert wurde, daß ältere Jahrgänge bestimmter Periodika oft nicht mehr in Bibliotheken zugänglich seien. Auch die fortschreitende Wirtschaftsintegration Europas bewirkt eine neue Situation: Statistiken der Europäischen Union erfassen seit dem 1. Januar 1995 nicht mehr den Binnenaußenhandel der Mitgliedsstaaten.
Statistiken bildeten in besonderer Weise das Argumentationsmaterial für den Vortrag von Dr. Sabine Schachtner, der Leiterin der Außenstelle Alte Dombach (Bergisch Gladbach) des Rheinischen Industriemuseums, der "Die Entwicklung der Papierindustrie in Zahlen" vorstellte. Die Ausführungen konzentrierten sich vor allem auf den rasanten Anstieg der deutschen Papierproduktion in den letzten beiden Jahrhunderten und suchten die zugrundeliegende technische Entwicklung, die kulturgeschichtliche Dimension sowie die damit verbundenen sozialen Fragen zu analysieren. Als aussagekräftige Indikatoren wurden die Entwicklung der Rohstoffversorgung (jeweiliger Anteil von Hadern, Holzschliff, Zellstoff, Altpapier), das Anwachsen der durchschnittlichen jährlichen Produktionsmenge pro Papiermaschine und pro in der Papierherstellung Beschäftigtem (1935: 35 t; 1994: 300 t) sowie der Anteil der weiblichen Beschäftigten (1882: 40 %; 1993: 16 %) und der Papierverbrauch pro Einwohner herangezogen.
Was sich hinter diesen statistisch erfaßbaren langfristigen Entwicklungen konkret verborgen hatte, verdeutlichte Peter Viehöver mit seinen Ausführungen über die Nachkriegsgeschichte der Papierindustrie im Kreis Düren. Ausgangspunkt der Betrachtung war die Situation im Jahre 1939, als in 28 Papierfabriken mit 47 Papiermaschinen gearbeitet wurde. Die ca. 5000-5500 Beschäftigten der Papierindustrie bildeten ca. 35 % aller industriell Beschäftigten der Dürener Region. In der Zulieferindustrie (3 Siebtuch- und 3 Filztuchwebereien, 6 Maschinenfabriken, 1 chemische Fabrik) waren weitere 3500-4000 Beschäftigte tätig. Nach dem 2. Weltkrieg wiesen alle Betriebe Zerstörungen zwischen 35 und 100 % auf, nicht einer war unmittelbar betriebsbereit. Dennoch gelang relativ zügig - und oft auf Initiative der Belegschaften - der Wiederaufbau der Dürener Papierindustrie, so daß bereits 1950 wieder 25 Betriebe mit 33 Papiermaschinen produzierten. Bis zum Konjunktureinbruch 1966/67 war ein weiterer Aufschwung zu verzeichnen, dann, vor allem ab 1970, kam es in erheblichem Umfang zu Maschinen- und Betriebsstillegungen sowie zu Konkursen mit einhergehendem Verlust an Arbeitsplätzen. 1995 arbeiten noch 2240 Beschäftigte in 8 Fabriken mit insgesamt 15 Papiermaschinen.
Beide Vorträge gaben Anlaß zu längerer Diskussion über die Ursachen gesteigerter Produktivität und über mehr oder weniger erfolgreiche Unternehmerstrategien in Zeiten wachsender Konkurrenz. Einen Bereich des technischen Fortschritts beleuchtete anschließend Wolfgang Guder, Kreuzau, in seinem ausführlichen Vortrag "Harzleimung im 20 Jahrhundert? Von der Erfindung Moritz Friedrich Illigs zur kationisierten Emulsion von heute. Ein historischer Überblick." Anknüpfend an die animalische Leimung der alten Handpapiermacherei schilderte der Vortrag zunächst die 1807 von Illig im Druck vorgelegte Erfindung der Harzleimung, die die Vorbedingungen für die organische Weiterentwicklung der zur gleichen Zeit zum industriellen Einsatz kommenden Papiermaschine schuf, sich aber dennoch in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts nur langsam ausbreitete. Da die Selbstbereitung von Harzleimen ein Schmerzenskind der Papierfabriken war, kam die Idee auf, gebrauchsfertigen Leim an die Papiererzeuger zu liefern. Pionier war die Firma Arabol Co., New York, die ab 1895 zwei Harzleime mit 20 bzw. 35 % Freiharz anbot. 1898 stellte in Deutschland Fritz Arledter sein Leimbereitungsverfahren vor (DRP Nr. 95 416), nach dem bis zum 1. Weltkrieg in Europa und den USA insgesamt 14 Fabriken errichtet wurden. Neben anderen Verfahren entstand 1930-32 das Bewoidverfahren von Bruno Wiegner, bei dem Freiharzteilchen durch Schutzkolloide feinstdispergiert wurden. Nach dem 2. Weltkrieg kamen synthetische Leimungsmittel auf, bei denen sich drei wichtige Gruppen unterscheiden lassen: AKD (Alkyl-Keten-Dimer), ASA (Alkenyl Succinic Anhydride) und PLM (Polymere Leimungsmittel). Dennoch erlebte die Harzleimung in den 1980er Jahren eine Renaissance, weil es gelang, eine echte Neutralleimung zu erzielen (Kentosole der Chemischen Fabrik Brühl). Abschließend verwies W. Guder auf die Fortschritte, die bei der Gewinnung der heute eingesetzten Tallharze und Kolophoniumsorten erzielt wurden.
Über "Stand und Entwicklung der Papierherstellung im 20. Jahrhundert" sprach Dr. Peter Paasche, Mitarbeiter am Institut für Holz- und Papiertechnik der Technischen Universität Dresden. Während das 19. Jahrhundert durch Basisinnovationen wie die Papiermaschine und die Harzleimung sowie neue Rohstoffe (Holzschliff, Sulfit- und Sulfatzellstoff) geprägt wurde, sind im 20. Jahrhundert vor allem Verbesserungen im Bereich der verfahrenstechnischen Kette zu verzeichnen. Zu nennen sind vor allem verbesserte Transportsysteme und neuartige Prozeßleitverfahren, die Verbesserung der Streichverfahren und neuartige Rohstoffaufbereitungsmethoden. Neue Herausforderungen brachte der Verzicht auf die Chlorbleiche mit sich, ebenso der stark forcierte Altpapiereinsatz, der u. a. bei der Stoffaufbereitung gegenüber dem Holzschliff enorme Energieeinsparungen ermöglicht. Anschaulich schilderte Dr. Paasche die konstruktive Durchbildung der Papiermaschine im Verlauf des 20. Jahrhunderts und trug so wesentlich zu einem besseren Verständnis der technischen Entwicklungslinien bei, deren Kenntnis für die Papiergeschichte des zu Ende gehenden Jahrhunderts unabdingbar ist.
Anschließend berichtete Stefan Feyerabend, Hamburg, aus der Sicht des deutschen Feinpapiergroßhandels über "Großhandelssortimente 1945-1995". Von den gegenwärtig ca. 200 kg Papierverbrauch pro Einwohner sind ca. 60 kg Druckpapiere, von denen wiederum ca. 40 % großhandelbar sind. Dieser Markt wird letztendlich stark von den Ansprüchen des Kunden bzw. Verbrauchers bestimmt, deren Anforderungen ständiger Veränderung unterworfen sind. Das Verlangen, daß Drucksachen farbiger werden sollten, führte z. B. dazu, daß der Anteil gestrichener Papiere von ca. 3-4 % Anteil im Jahre 1950 auf ca. 40-50 % im Jahre 1995 angestiegen ist, wobei sich aufgrund der technologischen Entwicklung die Unterscheidung gestrichen/ungestrichen zunehmend nur noch als begriffliche Hilfskonstruktion erweist. Durch die Konzentration auf holzfreie Papiere oder aber Recyclingpapiere sind gleichzeitig holzhaltige Papiere stark in die Defensive geraten, und holzhaltiges Bilderdruckpapier ist inzwischen obsolet. Schreibpapier im klassischen Sinn ist ebenfalls im Aussterben begriffen, auch selbstdurchschreibende Papiere haben zwischenzeitlich ihren Zenit durchschritten. Die ständigen Veränderungen bei den Bürokommunikationstechnologien führen zu andauernden Veränderungen am Markt und bewirken zusätzlich neue Konkurrenzsituationen für den Papiergroßhandel, weil auch Maschinenhersteller, Bürobedarfshändler und Versender in diesem Bereich aktiv sind. Der Großhandel sucht seine Unabhängigkeit zu wahren, indem er bei Sortimentsentscheidungen nach Möglichkeit keinem Lieferanten das Übergewicht gibt. Gleichzeitig fördert er den Trend zu gefärbten, melierten, genarbten oder gerippten Papiersorten, wie sie vor allem von niederländischen, französischen oder englischen Herstellern angeboten werden. Denn dem Trend zur Gewichtsminderung, der durch mehrfache Portoerhöhungen verursacht wurde, steht gleichzeitig eine Entwicklung zur teuren und repräsentativen Werbung gegenüber. Im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage ist somit das Großhandelssortiment kontinuierlichen Veränderungen unterworfen.
Spiegel dieser Sortenentwicklungen sind die Papierproben und Musterbücher der Erzeuger und Großhändler, die Sigrid Feiler am Beispiel der einschlägigen Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums der Deutschen Bücherei Leipzig vorstellte. Diese Kollektion reicht bis in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zurück und wird kontinuierlich ergänzt und fortgeführt. S. Feiler verband ihren Vortrag mit der Bitte, den Papierhistorischen Sammlungen in Leipzig regelmäßig neuerscheinende Musterkollektionen für die dauernde Archivierung zu überlassen.
In Ergänzung zum Rahmenthema der Tagung sprach Prof. Dr. Guido Dessauer, Tutzing/Graz, über den "Transfer von Schadstoffen auf Papiere über die Gasphase am Beispiel Henry Matisse". Als Vorbericht zu einer in Kürze bevorstehenden Veröffentlichung (Internationales Symposium der Staatsgalerie Stuttgart über die Schäden an den Werken auf Papier von H. Matiss) informierte er den Deutschen Arbeitskreis für Papiergeschichte über seine Untersuchungen des Kunstwerks La perruche et la Sirène , eine Gouache decoupé im Bestand des Stedelijk Museum Amsterdam. Prof. Dessauer verband seinen Vortrag mit dem Appell, die tiefe Kluft des Nichtverstehens zwischen vielen, die für den Erhalt unserer Kultur Verantwortung tragen, und den Naturwissenschaften durch gezielte, geplante interdisziplinäre Zusammenarbeit zu überwinden.
Anschließend erfolgte ein Empfang in der Papierfabrik Netstal. Papierproduktion in Netstal wird erstmals 1679 erwähnt. /1/ 1787 wurde von Ludwig Zweifel-Schießer eine zweite Papiermühle neben der ersten gegründet, 1828 folgte in der Nähe eine dritte Papiermühle. 1854 gründete Johann Jakob Zweifel die untere oder neue Papierfabrik an der Linth. Die am Standort der alten Papiermühlen entstandene obere Papierfabrik wurde 1974 stillgelegt, während die untere Papierfabrik auf die Fertigung von Filterpapier umgestellt wurde. Zwischenzeitlich hat sich die Papierfabrik Netstal AG zum zweitgrößten Kaffeefilter-Hersteller Europas entwickelt und ist in den letzten Jahren grundlegend modernisiert worden. Die Papiermaschine (Baujahr 1990) mit einer Arbeitsbreite von 225 cm produziert jährlich bei einer Geschwindigkeit von 400 m/min 15000 t Papier; dabei sind insgesamt 40 Beschäftigte im 3-Schichtbetrieb tätig, wobei im Jahr während insgesamt 6700 Stunden gearbeitet wird. Es werden industrielle und technische Filterpapiere, Krankenhaus-Sterilisationspapiere, Erfrischungstüchlein-Rohpapiere sowie vor allem Krepp-Papiere (braun, ungebleicht bzw. weiß, elementar chlorfrei) im Bereich 40-150 g/m² hergestellt. Für 1 kg Papier werden 400 l Wasser gebraucht, da hiervon jedoch 380 l erneut verwendet werden können, beläuft sich der effektive Wasserverbrauch auf 20 l/kg. Für die Dampfgewinnung stehen zwei mit schwerem Heizöl befeuerte Kessel zur Verfügung. Elektrische Energie wird mit Hilfe einer 1957 gebauten Kaplan-Turbine aus dem der Fabrik gemeinsam mit der Gemeinde Netstal zur Verfügung stehenden Gefälle der Linth (4,5 m Gefälle bei 33 m²/sec) gewonnen (pro Jahr 8 Mill. kWh). Der Energieeinsatz pro kg erzeugtem Papier beträgt 0,175 kg schweres Heizöl und 0,630 kWh elektrische Energie. Im Verbund mit den anderen europäischen Produktions- und Verarbeitungsstandorten der G. T. Mandl Group erweist sich die 1974 vom endgültigen Aus bedrohte Papierfabrik Netstal heute als in ökonomischer und ökologischer Hinsicht schlank getrimmter Fertigungsbetrieb. Die im Verwaltungsgebäude ausgestellten historischen Dokumente machten deutlich, daß sich modernste Produktionstechnik und vertieftes Geschichtsbewußtsein sehr wohl verbinden lassen. Ein äußerst spendables kaltes Buffet rundete den positiven Eindruck in jeder Hinsicht ab und bot Gelegenheit für vielfältige Gespräche.
Am 14. Oktober standen Arbeitsberichte aus den verschiedenen mit papiergeschichtlichen Fragen befaßten Institutionen und Initiativen auf dem Programm, um so den von allen Beteiligten gewünschten Erfahrungs- und Informationsaustausch zu fördern. Den Auftakt bildete ein Bericht von Rolf Bauche, der unter dem Titel "Papier für jeden Zweck - Neuerwerbungen des Rheinischen Industriemuseums" über Aktivitäten der Außenstelle Alte Dombach in Bergisch Gladbach berichtete. Das Museum sammelt zum einen papierne Objekte, die sich aus ihrem Verwendungszusammenhang erklären, zum anderen ist man an Exponaten interessiert, die im Zusammenhang mit Produktions- und Verarbeitungsprozessen stehen. Ein Schwerpunkt des Interesses bildeten deshalb Objekte, die mit der 1994 von der Zanders AG übernommenen Papiermaschine 4 stehen. Hierbei bewährte sich vor allem die Kooperation mit der Stiftung Zanders, in deren Archiv sich nicht nur Maschinen- und Auftragsbücher sowie Rezepturen finden, sondern auch über die Maschine gelaufene Papierproben und die zugehörigen - mehr als 100 - Egoutteure befinden. Zusätzlich wurden Interviews mit Papiermachern geführt, die früher an der PM 4 arbeiteten und z. B. über die Wasserzeichenherstellung oder auch über Sicherheitsauflagen bei der Wertpapierherstellung Auskunft geben können. Im Berichtszeitraum konnte außerdem eine Rundsiebpappenmaschine (Hersteller: Strobel in Chemnitz) von der Pappenfabrik Polenz (ca. 30 km östlich von Dresden gelegen) übernommen werden. Ergänzend wurden einschlägige Produktmuster wie Radiorückwände oder Kraftfahrzeuginnenverkleidungen erworben. Neben diesen großexponatbezogenen Recherchen konnten auch Dokumente anderer Papierfabriken ermittelt und erworben werden, so z. B. Archivalien, die von der Firma Heinrich Geldmacher in Hoffnungsthal und Winterborn stammen. Weitere Sammlungsergänzungen stammen von der Allendorfer Papierwarenfabrik. Der Bericht machte deutlich, daß das Rheinische Industriemuseum sich - nicht zuletzt aus didaktischen Gründen - neben der Papierherstellung verstärkt der Papierveredelung und auch der Papierverwendung zuwendet, um die gesellschaftlich-kulturelle Bedeutung des Werkstoffs Papier/Karton/Pappe zu verdeutlichen.
Anschließend berichteten zwei Mitarbeiterinnen der Papierhistorischen Sammlungen der Deutschen Bücherei Leipzig aus ihrer Museumsarbeit. Andrea Lothe zog unter dem Titel "Was man über Wasserzeichen alles wissen will" ein Resümee hinsichtlich der Fragestellungen, die in letzter Zeit in Form von Anfragen an diese papiergeschichtliche Dokumentationsstelle herangetragen worden sind. Sie betonte zum einen, daß 1995 die Anfragen sprunghaft angestiegen sind, zum anderen verdeutlichte sie das breite Spektrum der Interessen, das sich in diesen Auskunftswünschen manifestiert. Anfragen von Musik- und Kunstwissenschaftlern beziehen sich zum Teil auf 20-30 verschiedene Wasserzeichen, die oft nur unvollständig überliefert oder erkannt sind, weshalb zeitaufwendige Ermittlungsarbeiten erforderlich sind. Das Interesse richtet sich nicht nur auf eine möglichst exakte Datierung, sondern auch auf eine regionale oder lokale Herkunftsbestimmung. Restauratoren ist an einer möglichst umfassenden, exakten Papierbeschreibung der ihnen anvertrauten Stücke gelegen. Für eine Ausstellung des Deutschen Hygienemuseums in Dresden zum Thema "Herz" war man auch an einer Verwendung dieses symbolträchtigen Motivs als Wasserzeichen interessiert. Die Kooperation mit Familienforschern erbrachte wichtige Informationen über Verwandtschaftsverhältnisse einzelner Papiermacher und über Besitzerabfolgen einzelner Papiermühlen.
Diana Stiehl berichtete über die "Wasserzeichenerschließung nach dem IPH-Standard am Beispiel der Papiermühle Reinerz". Diese Papiermühle im heute polnischen Duszniki arbeitet als produzierendes Papiermuseum und ist an einer möglichst lückenlosen Dokumentation seiner früher verwendeten Wasserzeichen interessiert. In den Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseum ist diese Papiermühle mit über 100 Wasserzeichen vertreten. Die Arbeiten wurden mit einem Erfassungsbogen durchgeführt, der eine Weiterentwicklung jenes Erschließungshilfsmittels darstellt, das die Kunsthistorikerin Barbara Wenig, Mitarbeiterin der Stiftung Zanders, bei der letzten Arbeitskreistagung in Düren vorgestellt hatte. Der Beitrag von D. Stiehl machte deutlich, daß die Erfassung nach dem IPH-Standard nicht nur sehr zeitaufwendig, sondern auch nicht in allen Fällen eindeutig geregelt ist (dies gilt vor allem für die Motivkodierung). Dr. Tschudin, Initiator des Erfassungsstandards, wies in einem Diskussionsbeitrag auf dessen laufende Überarbeitung hin und gab der Hoffnung Ausdruck, daß elektronische Bildverarbeitung diese Bildkodierung vermutlich bald überflüssig mache. Auf Basis der Leipziger Arbeitserfahrungen wurde jedoch entgegnet, daß die Anfragenden immer wieder an einer exakten verbalen Beschreibung einzelner Wasserzeichenmotive interessiert seien, weshalb die Weiterentwicklung einer Fachsprache in Analogie zum Blasonieren der Heraldiker durchaus wünschenswert sei.
Annette Späth M. A. aus Lohr am Main berichtete, unterstützt von Johannes Follmer, ausführlich über das "Projekt Museum Papiermühle Homburg am Main". Die in der Gemeinde Triefenstein gelegene Papiermühle (zuletzt bis 1975 als Handpappenfabrik betrieben) wird gegenwärtig mit finanzieller Unterstützung des Landkreises Main-Spessart und der Bayerischen Landesstelle für nichtstaatliche Museen einer genauen Bauuntersuchung unterzogen. Holzuntersuchungen bestätigen eine Zweitverwendung des Bauholzes; mit Hilfe der Dendrochronologie wird gegenwärtig eine genaue Zeitstellung ermittelt. Ein Konzept für die zukünftige museale Nutzung dieses technischen Denkmals ist in Arbeit. Für die papiergeschichtliche Museumslandschaft in Deutschland stellen diese Maßnahmen einen außerordentlich ermutigenden Schritt dar.
Wie in jedem Jahr hatten die Papiergeschichtlichen Sammlungen der Stiftung Zanders in Bergisch Gladbach, souverän vertreten durch die Diplomarchivarin Magdalena Christ, auch 1995 Positives zu vermelden. Das Stammpersonal konnte von 2 auf 2,5 Stellen erhöht werden. Außerdem arbeiten im Rahmen von Arbeistbeschaffungsmaßnahmen 2 Kunsthistoriker an der Inventarisierung der Sammlungen. Die Erfassung von ca. 1000 Fremdwasserzeichen konnte abgeschlossen werden; die Daten stehen maschinenlesbar zur Verfügung. Gegenwärtig werden die ca. 600 in der Sammlung vorhandenen Gemälde und die Handschöpfgeräte erschlossen. Es handelt sich dabei um ca. 700 Einzelsiebe, darunter sehr viele Schöpfformenpaare. Außerdem sind 354 Musterkollektionen aus dem Zeitraum 1904-1980 archiviert. Es erfolgt eine kontinuierliche Ergänzung der historischen Fotobestände. In der Werkszeitschrift werden in der Rubrik "Zanders im Bild - gestern und heute" historische Fotos und aktuelle Bilder vom selben Aufnahmestandort gezeigt. Die Buntpapiersammlung konnte durch einen Ankauf von 200 Exemplaren ausgebaut werden. Buntpapier spielte auch eine wichtige Rolle in der Ausstellung von 160 historischen Dissertationen, die 1995 gezeigt wurde und zu der ein Katalog erschienen ist. Im April 1996 wird eine Ausstellung "Fünf Jahre Kulturhaus" die Erschließung der Wasserzeichen und der Schöpfformen einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren.
Mitarbeiter der Firma ConCultura, Elke Hartkopf M.A. und Dr. Rainer Söntgen, berichteten anschließend ausführlich über ihre Studien, die sie zur konzeptionellen Überarbeitung der Dauerausstellung im Papiermuseum Düren vorgenommen haben. Besondere Bedeutung maßen sie dabei baulichen Veränderungen zur Verbesserung der Besucherführung und einer Konzentration auf publikumsnahe Ausstellungsinhalte bei. Diese Überlegungen wurden von Dipl.-Ing. Alfred Hoesch und Peter Viehöver, zwei geistigen Vätern und engagierten Förderern des Dürener Museums, nachdrücklich unterstützt. Probleme bei der Umsetzung bereiten allerdings die knappe Finanz- und Personaldecke sowie der Mangel an Depotraum.
Cornelia Trauschke, Projektmanagerin der Initiative Umwelt und Papier, Info-Zentrum Papier, Karton und Pappe in Bonn, stellte die Kampagne "Papier. Es gibt nichts Besseres" vor und erläuterte die zwischenzeitlich erreichte Zusammenarbeit zwischen deutschen und ausländischen Fachverbänden. Die Öffentlichkeitsmaßnahme ist gegenwärtig bis Ende 1997 gesichert und wird sich auch in gewissem Umfang mit papiergeschichtlichen Fragestellungen befassen.
Leipzig wird vom 30. August bis 5. September 1996 Tagungsort des von der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker veranstalteten 23. Internationalen Papierhistorikerkongresses sein. Dr. Frieder Schmidt, Deutsche Bücherei Leipzig, gab als für die örtliche Organisation Verantwortlicher einen knappen Bericht über den Stand der Vorarbeiten und erläuterte den Tagungsschwerpunkt "Papiergeschichte als Hilfswissenschaft".
Anschließend berichtete Dr. Schmidt über das International Paper Symposium '95, das vom 4.-6. Oktober 1995 von der Japan Paper Academy in Kyoto veranstaltet worden war. Über 300 Teilnehmer aus Japan und 27 weiteren Ländern befaßten sich in zwei Podiumsdiskussionen und in ausführlichen Vorträgen mit der über 2000jährigen Geschichte des Papiers in Asien und Europa, beschäftigten sich mit den Bezügen zwischen Papier und Kunst und mit der Weiterentwicklung des Papiers - seinen Eigenschaften und der Herstellungstechnik - an der Schwelle zum 3. Jahrtausend. Es wurde dabei deutlich, daß Japan - zweitgrößter Papierhersteller der Welt - im sich verschärfenden internationalen Wettbewerb weit stärker Anregungen in seiner bis in das 7. Jahrhundert zurückreichenden Papiertradition sucht, als dies gegenwärtig in Europa der Fall ist. Qualität, Haltbarkeit und Schönheit des traditionell aus Rindenbaststoffen gefertigten handgeschöpften japanischen Papiers ("Washi") soll Ansporn geben für die Entwicklung neuer Hochleistungspapiersorten mit neuartigen Materialeigenschaften.
Nach Abschluß dieser Arbeitsberichte besuchten die Tagungsteilnehmer den Freuler-Palast im nahegelegen Näfels, der das Landesmuseum des Kantons Glarus beherbergt. Die Besichtigung erfolgte unter der sachkundigen Führung des keine Mühen scheuenden Gastgebers und Tagungsorganisators Georg T. Mandl. Für viele der Teilnehmer war das im dritten und vierten Stock des Freuler-Palasts untergebrachte Museum für Textildruck - der Kanton Glarus bildete schweizerisches Zentrum dieser Branche - eine besondere und außerordentlich interessante Überraschung. Die didaktisch klug aufgebaute und mit eindrucksvollen Exponaten bestückte Dauerausstellung verdient breite Beachtung durch technik- und kulturgeschichtlich Interessierte.
Den Abend beschloß ein gemeinsames Abendessen im Hotel Rößle in Filsbach, zu dem wiederum G. T. Mandl geladen hatte. Peter Reinhard aus Hemer zeigte Dias, die die Erinnerung an das letzte Arbeitskreistreffen in Düren wachhielten, F. Schmidt berichtete über die Gedenkfeier, die am 8. September 1995 in Krippen (Sachsen) anläßlich des 100. Todestages des Holzschlifferfinders Gottlob Friedrich Keller in ehrendem Angedenken abgehalten wurde, und Dr. Wolfgang Schlieder, Leipzig, ging auf die aus gleichem Anlaß in den beiden Keller-Orten Hainichen und Kühnhaide abgehaltenen Gedenkveranstaltungen ein.
Da 1996 der Internationale Papierhistoriker-Kongreß in Deutschland abgehalten wird, beschloß man, einer Einladung des Deutschen Museums dankend Folge zu leisten und das 7. Arbeitskreistreffen in der Zeit vom 7.-10. Januar 1997 in München abzuhalten. Die dort am 25. Oktober 1995 neueröffnete Abteilung für Drucktechnik gibt Anlaß, für diese Tagung folgendes Rahmenthema zu wählen: "Papier und Druck - Wirtschaft, Technik und Gestaltung". Für den Herbst 1997 wurde gleichzeitig von Ursula und Peter Reinhard eine Einladung nach Hemer ausgesprochen, um dort die 8. Arbeitskreistagung abzuhalten. Fünf Jahre nach seiner Gründung hat sich der Deutsche Arbeitskreis für Papiergeschichte zu einem lebendigen Kommunikationszusammenhang entwickelt, der sich für alle Beteiligten als sehr fruchtbar erweist.
Frieder Schmidt (Leipzig)
/1/ Vgl. G. T. Mandl: Dreihundert Jahre Papierfabrik Netstal. Mit einem Vorwort von Georg Thürer. Netstal 1979.