Buchbesprechung zu: „Vernetzte Papiermärkte. Blicke in den Amsterdamer Handel mit Papieren im 18. Jahrhundert“, eine Veröffentlichung von Daniel Bellingradt im Herbert von Halem Verlag, Köln, 2020
Gerade in den größeren Digitalisierungsprojekten in der Musik-, Architektur- und Kunstgeschichte der letzten Jahre (hier sei beispielsweise an die Projekte RISM, Planschatz Schwerin oder Niederländische Zeichnungen Weimar gedacht), zeigte sich die Präsenz bzw. zumeist auch die Dominanz von holländischen Wasserzeichen, die ursächlich auf die Dominanz des Amsterdamer Papierhandels zurückzuführen ist. Welche Rolle Amsterdam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für den Papierhandel spielte, wird schon allein dadurch deutlich, dass für diesen Zeitraum mehr als 60 aktive Papierhändler in Amsterdam verzeichnet werden. Hinzu kommen weitere Kaufleute, die den Papierhandel neben ihren eigentlichen Haupthandelsgeschäften betrieben (S. 130). Die Gründe für das Aufblühen des Papierhandels in Amsterdam waren in seiner vorteilhaften geografischen Lage zu sehen und der guten internationalen Anbindung sowohl über den Seeweg in den Nord- und Ostseeraum als auch über den Landweg an die teilweise schon seit dem Mittelalter bestehenden Handelsrouten wie die von Amsterdam über Utrecht, Nijmegen, Koblenz, Mainz, Worms, Straßburg nach Basel (S. 137f.). Bellingradt verweist auf 800 von Amsterdam aus für den regionalen und überregionalen Handel regelmäßig eingesetzte Schiffe, um diese Vernetzung zu illustrieren (S. 138).
Zu den unbestreitbaren Stärken dieser Veröffentlichung zählen, dass der Papierhandel zum Forschungsthema gemacht wurde, dass zahlreiche Primärquellen zum Papierhandel (z.B. Archiv der Amsterdamer Buchhandelsgilde zwischen 1662-1812) erschlossen wurden (Kapitel 4) oder auch der sehr interessante und lesenswerte Einblick in die Handelsaktivitäten des Papierhändlers Zacharias Segelke, der veranschaulicht, wie Papierhandel am Ende des 18. Jahrhunderts in Amsterdam funktionierte (Kapitel 7). Die Auffassung des Autors Daniel Bellingradt, dass der Papierhandel bisher kaum betrachtet wurde, ist uneingeschränkt zu teilen. Diese Veröffentlichung dokumentiert zudem den aktuellen Forschungsstand umfassend und beruht auf dem von 2012 bis 2015 von der DFG finanzierten Forschungsprojekt „Publizistik als Handelsware. Transregionale Märkte, Räume und Netzwerke im frühneuzeitlichen Europa, 1750-1800“.
Der Amsterdamer Papierhandel spielt – obwohl der Buchtitel es suggeriert – leider in großen Teilen der vorgelegten Publikation nur eine untergeordnete Rolle. Oft ist es eher eine kommunikationsgeschichtliche Abhandlung über Einzelaspekte des Handels mit Papier, dessen Rohstoffen bzw. auch dessen Produkten allgemein. Zu den weniger gelungenen Aspekten dieser Veröffentlichung zählt, dass sich der Leser eher mit einer Aneinanderreihung einzelner (Fach-)Artikel konfrontiert sieht, die sich sowohl inhaltlich als auch sprachlich an ein unterschiedliches Publikum richten. Dies führt dazu, dass es zwischen den einzelnen Kapiteln mitunter zu inhaltlichen Doppelungen (so z.B. Wiederholung des Papierherstellungsprozesses (S. 70 f.), Übergang vom Pergament zum Papier (S. 78 und S. 90), Papierbedarf (S. 78, S. 87, S. 93) kommt.
Bellingradt ist sicher beizupflichten, wenn er in seinem – angesichts des Gesamtumfangs des Buches – sehr ausführlich geratenen Vorwort („Vortrab“) die bisher ausgeübte Papiergeschichte kritisiert. Diese ist seiner Meinung nach auf die Geschichte der Papierherstellung und Wasserzeichen fokussiert (S.14) und lässt dabei die Aspekte des Papierhandels vollkommen außer Acht. Genau in diesem Bereich liegen jedoch zugleich die Schwächen dieses Buches. Papierhistoriker und -technologen werden sich angesichts verschiedener Äußerungen zur Papierherstellung gelegentlich verwundert die Augen reiben. So wird zum Beispiel die Rundsiebmaschine zu einer Übergangstechnik („die nur eine kurze Blüte“ erlebte), hin zur Entwicklung zur Langsiebmaschine erklärt (S.72 – Rundsiebmaschinen spielen noch heute z. B. bei der Künstler- und Wertpapierherstellung oder aber auch bei der Kartonherstellung etc. eine wesentliche Rolle). Aussagen wie jene, dass es „kein Zufall ist, dass die Papierherstellung in Europa immer dort florierte, wo Textilindustrien in der Nähe waren oder wohin Textilindustrie leinene Rohstoffe hinliefern konnten“ (S.174), blenden die technologischen Standortbedingungen für den Betrieb einer Papiermühle komplett aus. So waren ausreichende Wasser- oder später auch Windkraft und reines Wasser seit jeher die entscheidenden Standortfaktoren für den Betrieb einer Papiermühle und konnten auch – sofern diese Faktoren nicht (mehr) gegeben waren – zur Aufgabe oder auch zur Umsetzung bestehender Papiermühlen an einen neuen Standort führen (siehe Umsetzung der Papiermühle Homburg). Insofern hat einerseits Bellingradt sicher recht, wenn er die Papiergeschichte ohne kultur- und wirtschaftshistorische Kontextualisierungen kritisiert. Andererseits bleibt aber auch jede wirtschaftshistorische Betrachtung zum Papierhandel ohne eine entsprechend korrekte papiergeschichtliche Kontextualisierung und Kenntnis um Papierherstellungsverfahren streitbar. Bellingradts Werk sollte daher als eine Aufforderung zur Zusammenarbeit beider Disziplinen verstanden werden – mehr denn je!