Stefan Feyerabend (1932 – 2018)

Ein Nachruf von Dr. Frieder Schmidt (Stuttgart)

Am 13. Juni 2018 ist in Hamburg nach langer Krankheit der Papiergroßhändler, Verbandshistoriker und Wasserzeichenexperte, Menschenfreund und Telefonseelsorger Stefan Feyerabend gestorben. Als Kind musste er erleben, dass bei alliierten Bombenangriffen auf seine Heimatstadt Heilbronn am Neckar, wo er am 28. Mai 1932 zur Welt gekommen war, auch die Papierfabrik Gebr. Rauch in Schutt und Asche sank. Das Unternehmen hatte als erstes süddeutsches Unternehmen 1823/25 den Schritt zur industriellen Papierfabrikation gewagt und eine englische Langsiebpapiermaschine aus der Werkstatt von Bryan Donkin in Gang gesetzt. Jetzt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war nicht mehr an den Wiederaufbau einer Papierfabrik zu denken, vielmehr brachte man nun die Papierkompetenz der Familie in den Aufbau einer Papiergroßhandlung ein. Stefan Feyerabend wurde Diplomkaufmann und Papiergroßhändler.
 
Geschichtliches Interesse hatte ihn, zu dessen Vorfahren der Frankfurter Drucker Sigmund Feyerabend (1528–1590), einer der bedeutendsten deutschen Drucker und Verleger des 16. Jahrhunderts, und zu dessen Verwandtschaft der Historiker Moritz von Rauch (1868—1928) gehörten, immer bewegt. Dementsprechend war die Festveranstaltung zum 225-jährigen Bestehen der Firma Gebrüder Rauch am 5. November 1987 gestaltet. Die Festreden wurden von der Firma unter dem Titel „Die Entwicklung der Papierindustrie in Heilbronn und ihr Einfluss auf die Industrialisierung der Stadt“ veröffentlicht und brachten die enge Verbundenheit zur Vaterstadt zum Ausdruck. Wenig später führte die wirtschaftliche Entwicklung zu einem Zusammenschluss mehrerer mittelständischer Unternehmen zur Papier Union. Die traditionsreiche Firma Gebrüder Rauch ging darin auf, und Stefan Feyerabend wechselte zuerst in ein Büro am Frankfurter Flughafen, dann nach Hamburg. Bereits als junger Mann reiste er regelmäßig zur Leipziger Messe und behielt so die ostdeutsche Papierwirtschaft im Blick, was ihm nach der Grenzöffnung 1989 zu Statten kam.„Stefan Feyerabend beendet am 1.6.1995 mit 63 Jahren seine Tätigkeit bei der Papier Union GmbH & Co. KG, Hamburg“ lautete dann eine Nachricht in der Fachpresse (Allgemeine Papier-Rundschau Bd. 119, 1995, Nr. 20, S. 500). Aus dem reisenden Papiergroßhändler, der in Fachverbänden und im Normenausschuss Papier und Pappe des DIN tätig gewesen war, wurde nun ein Reisender in Sachen Papiergeschichte. Zunächst stand vor allem die Geschichte deutschen Feinpapiergroßhandels im Zentrum des Interesses. Stefan Feyerabend suchte die einschlägigen Firmen auf, sprach mit seinen Berufskollegen und trug in breitem Umfang Dokumente, Firmengeschichten, Preislisten, Musterbücher zusammen. Immer wieder kam er an das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig (jetzt: Deutsche Nationalbibliothek), machte Recherchen und beschenkte die Papierhistorischen Sammlungen mit Musterkollektionen, Jubiläumsschriften und einschlägiger Fachliteratur. 1998 gab der Bundesverband des Deutschen Papiergroßhandels die von ihm verfasste Publikation „180 Jahre Papiergroßhandel, 90 Jahre deutscher Verband“ heraus.

Der Deutsche Arbeitskreis für Papiergeschichte (DAP) und die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker (IPH) fanden jetzt in ihm einen regelmäßigen Tagungsteilnehmer, der immer wieder eigene Vorträge beisteuerte, Berichte für die Fachpresse schrieb und dem IPH-Vorstand als Beisitzer angehörte. Gleichzeitig entwickelte sich bei ihm ein starkes Sammlerinteresse. In der 1996 erschienenen Festschrift für Wolfgang Schlieder hatte er sich mit „Herstellermarken und Handelsmarken beim Vertrieb von Feinpapier in Deutschland in ihrer geschichtlichen Entwicklung“ befasst. Von nun ab beschäftigten ihn die Wasserzeichen der maschinell erzeugten Papiere immer stärker. Sammelte er anfangs hauptsächlich Belege für Marken, die dem Papierhandel gehörten, so öffnete er sich mit der Zeit ganz allgemein dem Phänomen der Maschinenpapierwasserzeichen. „What about machine-watermarks?“ lautete sein Vortrag auf dem 27. IPH-Kongreß 2004 in Duszniki Zdrój in Polen. Sein im gleichen Jahr im Wochenblatt für Papierfabrikation veröffentlichter Aufsatz über „Über die Stellung von Wasserzeichen in Maschinenpapieren“ hat bleibenden Wert.

Der Aufbau der eigenen Sammlung brachte Kontakte mit Papierhistorikern in Großbritannien und in St. Petersburg, in Belgien und in Frankreich, vor allem auch mit den Papiersammlungen in Düren und Bergisch Gladbach, mit dem Deutschen Technikmuseum in Berlin, dem Papiermuseum Steyrermühl in Österreich oder dem Historischen Papiermacherkabinett der Papierfabrik Penig, aber auch mit Antiquaren und Internethändlern. Immer wieder half er seinen Partnern, seien es die estnischen Wasserzeichenspezialisten Õie und Leo Utter gewesen, sei es der Papierhändlerkollege Rolf Buscher, seien es Frank Heinzig und das Papiermuseum Fockendorf. Durch sein Forschungsinteresse gelangte die Egoutteur-Dokumentation der Firma Andreas Kufferath ins Blickfeld und dann in die Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.

Im Lauf der Zeit entstand die umfassendste Maschinenpapierwasserzeichensammlung mit Wort- und Bildmarken vornehmlich aus dem deutschsprachigen Raum, ergänzt durch eine umfangreiche Sammlung von Normalpapieren mit den entsprechenden Wasserzeichen der herstellenden Papierfabriken. Für diesen ganzen Bestand baute Stefan Feyerabend eine Datenbank auf und initiierte dann eine Komplettdigitalisierung der Papiere. Die Originalpapiere sind jetzt Bestandteil der Papierhistorischen Sammlungen des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, die Bilddaten werden über http://www.papierstruktur.de/papierstrukturX/wasserzeichendatenbanken/stefan-feyerabend/ bereitgestellt und sind auch über das europäische Wasserzeichenportal www.memoryofpaper.eu im Katalog unter der SFH (= Stefan Feyerabend Hamburg) abrufbar.

1984 hatte ich erstmals Kontakt zu Stefan Feyerabend aufgenommen, weil ich seinen Namen im Findbuch zum Bestand B 12 (Gebr. Rauch GmbH) im Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg entdeckt hatte und ihn um Auskunft für meine Forschungen bitten wollte. Seitdem sind wir uns an vielen Orten begegnet, haben telefoniert, Mails voller Fragen und Antworten ausgetauscht und die Köpfe zusammengesteckt. Zwar war sehr oft Papier das Thema, aber die eigentliche Freude war immer die Begegnung mit diesem aufmerksamen und hilfsbereiten Menschen, der sein Christentum bescheiden und konsequent lebte. Die letzten Jahre der Krankheit waren für ihn und seine ganze Familie, vor allem für seine Frau Hanna, eine große Herausforderung, die in eindrucksvoller Weise gemeistert wurde.

Die deutsche und die internationale Arbeitsgemeinschaft der Papierhistorikerinnen und –historiker danken ihm sehr für alles, was er zum gemeinsamen Anliegen beigetragen hat.