"Zum Stand der Papiergeschichtsforschung" (Tagungsbericht) und Gründung des "Deutschen Arbeitskreises für Papiergeschichte" Am 3. und 4. November 1990 fand in Berlin anläßlich des 600jährigen Jubiläums der Papiermacherei in Deutschland ein Symposion "Zum Stand der Papiergeschichtsforschung" statt, das etwa drei Dutzend Papierhistoriker und -wissenschaftler aus Ost- und Westdeutschland zusammenführte. Gastgeber war das Museum für Verkehr und Technik, das am Vorabend der Tagung die bis zum 3. März 1991 dauernde Ausstellung "Das wohlausgesonnene Pappiermachen" eröffnete. Veranstaltet wurde das Symposion von der Universität Hamburg, Arbeitsstelle Sozialgeschichte der Technik (Priv.-Doz. Dr. Günter Bayerl), vom Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Bücherei Leipzig, Forschungsstelle Papiergeschichte (Dr. Wolfgang Schlieder) und dem Museum für Verkehr und Technik Berlin, Abt. Kommunikationstechniken (Dr. Rolf Stümpel). Nach einer freundlichen Begrüßung durch Museumsdirektor Günther Gottmann leitete Priv.-Doz. Günter Bayerl den ersten Themenschwerpunkt "Geschichte des Papiers und Papiergeschichte" mit einem Vortrag über "600 Jahre Papiermacherei in Deutschland: ein Jubiläum für die Papiergeschichte" ein. Seine Ausführungen waren Anlaß für eine lebhafte Debatte, die sich vor allem mit den Umweltproblemen der Papierherstellung und deren Bewältigung sowie mit den ökonmischen Schwierigkeiten der Papierindustrie in den neuen Bundesländern und den daraus resultierenden sozialen Belangen befaßte. Vor allem wurde darauf hingewiesen, daß gegenwärtig im Bereich der ehemaligen DDR der Verlust wichtiger historischer Zeugnisse (Archivalien, Geräte und Maschinen, Fabrikgebäude) zu befürchten ist. Anschließend gab Frieder Schmidt vom Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim einen Überblick über "Forschungsprogramme der deutschen Papiergeschichte". Den Ausgangspunkt bildeten die Aktivitäten von Männern wie Edmund von Marabini, Friedrich von Hößle oder Ernst Kirchner. Durch die Arbeit von Karl Theodor Weiß, Hans Heinrich Bockwitz und Alfred Schulte waren in den 1920er und 1930er Jahren klare Forschungsperspektiven eröffnet worden, die 1938 zur Gründung der Forschungsstelle Papiergeschichte in Mainz führten. Während zunächst die Wasserzeichenkunde und Papiermühlenforschung im Mittelpunkt des Interesses stand, galt nach dem 2. Weltkrieg das Interesse der Papiergeschichtsforschung zunehmend auch der Zeit der industriellen Papierherstellung. Fragestellestellungen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, aber auch der Historischen Umweltforschung und der Industriearchäologie erlangten zunehmende Bedeutung für das Forschungsprogramm der Papiergeschichte als wissenschaftliche Disziplin. Nachdem die westdeutsche Papiergeschichtsforschung durch die 1973 erfolgte Auflösung der Mainzer Forschungsstelle und die Einstellung der Zeitschrift Papiergeschichte eine erhebliche institutionelle Schwächung hinnehmen mußte, besteht nun nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten die Hoffnung, daß durch die Bündelung der Aktivitäten in Ost und West eine erneute wissenschaftliche und institutionelle Fundierung der Papiergeschichtsforschung erfolgen kann. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei der Deutschen Bücherei in Leipzig zu. Dr. Wolfgang Schlieder verdeutlichte dies in seinem Vortrag über "Die papierhistorische Sammlung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums als institutionelle Basis für den Deutschen Arbeitskreis für Papiergeschichte". Als deren Grundbestand dient die von Karl Theodor Weiß aufgebaute Sammlung, die 1957 in Staatseigentum überging und zunächst eigenständig als "Deutsches Papiermuseum" in Greiz existierte. 1964 wurde diese Sammlung in das seit 1884 bestehende Deutsche Buch- und Schriftmuseum eingegliedert und mit den dort vorhandenen Beständen vereinigt. Heute verfügt dieses Museum über eine Wasserzeichensammlung mit etwa 225.000 Wasserzeichen, eine Papierprobensammlung mit etwa 9000 Maschinenpapieren sowie eine umfangreiche Buntpapiersammlung, die durch detaillierte Kataloge erschlossen sind. Gegenwärtig erfolgt die Vereinigung der Deutschen Bücherei in Leipzig mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt zur einheitlichen deutschen Nationalbibliothek. Hierdurch sind die dauerhaften Voraussetzungen für ein nationales papiergeschichtliches Forschungs- und Dokumentationszentrum geschaffen. Frau Dipl.-Arch. Magdalene Christ, Mitarbeiterin der Zanders Feinpapiere AG in Bergisch Gladbach, stellte die Papiergeschichtliche Sammlung der Stiftung Zanders als Traditionspflege eines Unternehmens vor. Das Archiv verfügt u. a. über einen umfangreichen Bestand betriebs- und familiengeschichtlicher Unterlagen, eine wertvolle Kollektion von auf Zanders-Papieren gedruckten Büchern und eine ca. 400 Exemplare umfassende Schöpfformensammlung. Anschließend berichtete Markus Graf aus Schlottwitz über Aktivitäten im Bereich des Handpapierschöpfens, das aus Gründen der Traditionspflege von verschiedenen Gruppen in den neuen Bundesländern betrieben wird, und verlaß ein Papier des an der Teilnahme verhinderten Ingenieurs Johannes Weich aus Dresden über "Technische Denkmale und Traditionsstätten der Papierherstellung im Gebiet der ehemaligen DDR". Unter anderem wurden das technische Museum "Papiermühle Niederzwönitz" und die Neumannmühle in der Nähe von Krippen vorgestellt. Frau Dr. Sabine Schachtner, Mitarbeiterin des Rheinischen Industriemuseums, stellte Forschungsergebnisse zur Nutzungs- und Baugeschichte der Papiermühlen in der Alten Dombach vor. Deren noch erhaltenen Gebäude im Gebiet der Stadt Bergisch Gladbach werden zukünftig als papiergeschichtliches Museum genutzt. Anhand von Untersuchungen der Bausubstanz und unter Beiziehung von alten Plänen, Feuerversicherungsunterlagen und Akten kann die bauliche Entwicklung und die räumliche Gliederung der Produktion in erheblichem Umfang rekonstruiert werden. Dr. Rolf Stümpel stellte den Nachbau der Robertschen Papiermaschine vor, der vom Museum für Verkehr und Technik für die eingangs erwähnte Ausstellung gefertigt wurde. Die im Originalmaßstab nach französischen und englischen Patentzeichnungen rekonstruierte Maschine ist so gebaut, daß mit ihr Produktionsversuche mit Papierstoff durchgeführt werden können. Der zweite Tag des Symposiums wurde mit einem Vortrag von Dr. Heinz-Michael Helm von der Ingenieurschule für Papier und Verpackung in Altenburg eingeleitet, der die dortige papiergeschichtliche Traditionspflege vorstellte. Daran schloß sich das Referat von Dr. Peter Paasche an, der über "Traditionen und Traditionspflege des Lehrstuhls für Papiertechnik an der Technischen Universität Dresden" sprach. Insbesondere der außerordentlich große Anteil Sachsens an der deutschen Papierfabrikation und deren enger Bezug zur akademischen Forschung und Lehre wurden herausgestellt. Gert Englick stellte die Gedenkstätte für Friedrich Gottlob Keller in Krippen an der Elbe vor, wo der Erfinder des Holzschliffs seit 1853 lebte und eine mechanische Werkstätte unterhielt. Im Mittelpunkt des Vortrags stand die Bewahrung und Pflege des Andenkens von Keller und dessen Vermittlung im schulischen Unterricht. Im letzten Vortrag befaßte sich Dipl.Ing. Karl Pichol, Akademischer Oberrat am Institut für Technik und ihre Didaktik der Universität Münster mit Möglichkeiten, die Papiergeschichte als Gegenstand technischer Allgemeinbildung zu nutzen. Am Ende der Tagung wurde ein "Deutscher Arbeitskreis für Papiergeschichte" gegründet, dessen Ziel und Zweck so formuliert wurde: 1. Zusammenfassung der bisher vorhandenen Bestrebungen zur Erforschung der Papiergeschichte, 2. Vermittlung des Austausches von Informationen und Erfahrungen, 3. Anregung, Koordinierung und Förderung papierhistorischer Forschungen, 4. Förderung der Publikation von Forschungsergebnissen, 5. Anregung und Unterstützung bei der Vermittlung papierhistorischer Kenntnisse in der Ausbildung an Fach- und Hochschulen und 6. Verbreitung papierhistorischen Wissens in der Öffentlichkeit. Der Arbeitskreis sucht dabei engen Konztakt zu bestehenden Institutionen wie z. B. der Internationalen Arbeitsgemeinschaft der Papierhistoriker (IPH) oder dem Fachausschuß Papiergeschichte und Wasserzeichenkunde im Verein der Zellstoff- und Papier-Chemiker und -Ingenieure. Neben eher traditionellen Aufgabestellungen wie der systematischen Wasserzeichendokumentation und der flächendeckenden Erfassung der deutschen Papiermühlen und -fabriken will man sich auch neuer Themen annehmen, was in der Bildung von drei Arbeitsgruppen zum Ausdruck kam. Eine Arbeitsgruppe wird sich mit der Geschichte der Frauenarbeit in der Papierindustrie befassen. Eine weitere Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, die Sicherung von historisch wertvollen Objekten (Archivalien, Fotos, Geräte und Maschinen etc.) der Papierindustrie im Gebiet der neuen Bundesländer voranzutreiben, da andernfalls durch den raschen wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozeß mit unersetzlichen Verlusten zu rechnen ist. Eine dritte Arbeitsgruppe hat sich zum Ziel gesetzt, das 1993 bevorstehende 150. Jubiläum der Kellerschen Holzschlifferfindung in einer Ausstellung zu thematisieren. Frieder Schmidt (Mannheim/jetzt Leipzig)